Erstveröffentlichung RT.de 19 Dez. 2022

Was steckt hinter dem Putsch in Peru? Gleich nach Amtsantritt von Präsident Castillo begannen die Manöver, um ihn zu entmachten. Ein wichtiges Motiv dafür dürften Rohstoffverträge gespielt haben, um die sonst hätte neu verhandelt werden müssen.

Pedro Castillo bei der Vereidigung, 28.07.2021

Eine Analyse von Maria Müller

In Peru starben innerhalb von vier Tagen durch die Schüsse von Polizei und Militär auf Demonstranten 30 Menschen, über 1.000 Verletzte wurden in den Krankenhäusern behandelt. Der von der Interimspräsidentin Dina Bouluarte im ganzen Land ausgerufene Ausnahmezustand annulliert sämtliche Bürgerrechte und ermöglicht ein beispielloses Massaker auf den Straßen. Auch das Militär ist im Einsatz. Ein Sternmarsch nach Lima und ein Aufruf zum Generalstreik erfolgten am vergangenen Freitag trotz der Ausgangssperre. Es scheint, dass die Gegensätze in der peruanischen Gesellschaft dieses Mal erbarmungslos aufeinanderprallen.

Die rücksichtslose Ausbeutung von Bodenschätzen

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Päsident Castillo am Rednerpult

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Die Wut und Empörung darüber, wie man „ihren“ Präsidenten Pedro Castillo behandelt, ist nur vordergründig der Auslöser der Proteste von Bauern und Indigenen, die aus dem Landesinnern in die Städte vordringen. In Wirklichkeit steht weit mehr auf dem Spiel.

Das Wirtschaftsmodell einer rücksichtslosen Ausbeutung der Bodenschätze hat die soziale Kluft zwischen Stadt und Land extrem vertieft. Die Macht der Öl-, Gas- und Bergbaufirmen dominiert das politische System. Die zu 80 Prozent monopolisierten Medien sichern die Politik ab und führen falls nötig juristisch verbrämte Kampagnen mit erfundenen Anklagen gegen kritische Persönlichkeiten durch. (Siehe Ex-Bürgermeister von Lima, Ricardo Belmont).

Rund 51,7 Prozent der Ölproduktion ist in Händen ausländischer Firmen. Das wegen seiner globalen Korruptionspraktiken berüchtigte Bergbauunternehmen GLENCORE hält die Hälfte des peruanischen Bergbausektors. 

Schwere Umweltschäden und heftige Proteste

Seit mehreren Jahren haben sich vor allem in den von der Ölförderung betroffenen Zonen regelrechte Kämpfe zwischen den Förderfirmen und der durch Umweltzerstörung schwer geschädigten Bevölkerung entwickelt. Besonders im peruanischen Amazonasgebiet, wo tausende von Bohrlöchern mit ausgelaufenem Erdöl ohne Sanierung zurückgelassen werden, darunter von der Firma Pluspetrol Norte.

Andernorts hat man für den Bergbau große Ländereien enteignet und die früheren Besitzer nicht entschädigt. Die Compañía Minera Southern Perú Cooper Corporation ist in schwerste Konflikte mit den Gemeinden von Tumilaca, Pocata, Coscore und Tala in Moquegua verwickelt. Sie fordern eine Entschädigung von fünf Milliarden Dollar und fünf Prozent Gewinnbeteiligung. Die Firma soll sich ihre Gebiete illegal angeeignet haben und fördert dort Mineralien. Im Juli 2022 gab es 208 soziale Konflikte in Peru.

Die Lebensgrundlage der Landbevölkerung steht auf dem Spiel – und damit auch die Ernährungssicherheit der Acht-Millionen-Hauptstadt Lima. Der gewählte Präsident Pedro Castillo repräsentierte die verzweifelte Suche nach einer Änderung des Modells – und vielleicht die letzte Hoffnung – dieses Teils der Bevölkerung.

Kontinuität oder Umbruch?

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Das Jahr 2023 ist entscheidend für Peru. Hier ist der wahre Hintergrund für die erbarmungslose Destabilisierung der Regierung des Pedro Castillo seit seinem Amtsantritt zu suchen. Im kommenden Jahr müssen mehrere – sehr spezielle – Verträge mit Förderfirmen erneuert werden, denn ihre 30-jährige Laufzeit geht zu Ende. Im Kongress war klar, dass Präsident Castillo die Forderungen seiner Wählerschaft in die neuen Bedingungen für Konzerne und Investitionen einbringen und verteidigen würde. Sie mussten ihn entmachten, um das Modell weiterführen zu können.

Vertragsverlängerungen für eine skrupellose Praxis

Die frühere peruanische Abgeordnete (2020-2021) und Journalistin Cecilia García schildert in ihrem Tik-Tok-Video die Zusammenhänge.

„Das Jahr 2023 ist entscheidend für unser Land und die Machtgruppen. Insgesamt stehen 37 Vertragsverlängerungen für die kommenden Jahre bis 2028 an. Sie waren rund 30 Jahre gültig. Es geht überwiegend um Öl- und Gaskonzerne, deren Bohrungen im Nordwesten des Landes zudem neue Investitionen benötigen. Außerdem soll eine besonders wertvolle Sorte von Lithium vergeben werden.“

Beim Kupfer- und Zinkbergbau steht Peru an zweiter Stelle auf der Welt, auch Goldvorkommen sind vorhanden (Das Gold der Inkas …) Cecilia García weiter:

„Deshalb haben sie im Kongress der Republik stillschweigend und strategisch das von der Partei Acción Popular geförderte Gesetz 804, Dokument 21, vorbereitet. Dieses Gesetz sieht die automatische Verlängerung der Rechtsverträge zur Ausbeutung von Kohlenwasserstoffen vor. Es bedeutet außerdem, dass die Besitztitel mit unglaublichen Steuervorteilen verbunden werden, die niemand sonst in Peru erhält. Doch das hat nicht geklappt. Einige Parlamentarier wehrten sich dagegen, dass man das Vertragsrecht und die Ressourcen Perus erneut verschenken wollte.“

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Die Energie- und Bergbaukommission verabschiedete einen Entwurf zur Änderung des Gesetzes über Kohlenwasserstoffe (Gesetz 26221). In der Folge müsste Peru für den Eigenbedarf an Öl Weltmarktpreise zahlen. Die Stellungnahme 804/2021-CR schlägt außerdem vor, dass Nutzungsverträge von 30 auf 40 Jahre verlängert werden können. Obwohl diese Änderung für neue Verträge gilt, enthält das Dokument eine Bestimmung, die auch aktuellen Betreibern diese Möglichkeit eröffnet. Selbst die staatliche Energieagentur Petroperú erklärte kritisch:

„In Wirklichkeit schlägt der Kongress vor, privaten Auftragnehmern für Kohlenwasserstoffe ein nahezu unbegrenztes Regime über die Dauer der gesamten Reserven zu gewähren. Das gab es bisher weder in Peru noch in irgendeiner ausländischen demokratischen Gesetzgebung.“

Das spezielle Vertragsrecht aus der Diktatur Fujimoris

Was bedeutet dieses spezielle Vertragsrecht? 1992 erließ Alberto Fujimori (Diktator, 1990-2000) die Gesetzesverordnungen 662 und 757 für ein „Regime der Stabilität für Unternehmen“. Der Art. 62 der Verfassung von 1993 besagt, dass die Vertragspartner die Gültigkeitsdauer des Vertrags überschreiten können, wobei die bisherigen Klauseln weiterhin gelten. Außerdem kann der Staat Garantien abgeben und Stabilität zusichern. Fujimori machte Verträge für 30 Jahre, die niemand verändern kann, noch nicht einmal das Parlament. Peru ist das einzige Land in Lateinamerika und Europa, das solche „Gesetzesverträge“ besitzt. Es gibt natürlich in anderen Ländern Rechtsverträge, die jedoch von den souveränen Parlamenten verändert werden können, so bei Nichterfüllung oder wenn sich die Umstände sehr stark verändern, wie hier in Peru.

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In Peru war die Situation 1991 ganz anders wie im Jahr 2001 oder 2022. In diesen Jahrzehnten erreichten die Firmen neben vielen Vorteilen vor allem die „Steuerstabilität“.

Obwohl die Mineralien heute hundert mal teurer sind, zahlen sie nicht mehr als im Jahr 1991. Sie haben Gewinne gemacht, von denen sie nicht einmal zu träumen wagten. Insgesamt gibt es 676 solcher Verträgen in Peru.

Rechtsverträge ohne Recht und Bezahlung

Die frühere Abgeordnete Cecilia García führt dazu weiter aus:

„Und im kommenden Jahr enden sechs Verträge der Ölfelder in Carala. Das alles ist ihnen viel mehr wert als hundert Menschenleben. Das sind Milliarden von Soles, die für die kommenden 30 bis 40 Jahre abgesichert werden müssen. In allen Staaten der Welt verhandelt man, wenn ein Vertrag endet bzw. erneuert werden muss. Peru ist das einzige Land der Welt, in dem man nichts verhandeln kann … seitens des Staates. Die Firmen können die Verträge allerdings zu ihren Gunsten verändern. Sie exportieren die größte Menge an Mineralien und zahlen am wenigsten Steuern – ohne die Rückzahlung von 100 Prozent Zinsen für große Unternehmensgruppen in Betracht zu ziehen. Einige Unternehmen haben diesen Vorteil. Und wenn wir vor ein internationales Schiedsgericht gehen, verlieren wir. Das sind die Gründe, warum sie sich gegen die Regierung (von Castillo) verschanzt haben. Das ist der wahre Grund, den Ausnahmezustand auszurufen, und Demonstranten zu töten“, endet Cecilia García ihren Beitrag.

Entmachtung des Präsidenten hat Formfehler und ist illegal

Präsident Castillo musste gehen, weil er dem Ausverkauf des Landes im Wege stand. Dafür gab es zwei Wege: Der politische Misstrauensantrag oder die „zeitweise Suspendierung“, ein in Demokratien unbekanntes Verfahren, das mit nur 67 Stimmen erreicht werden kann. Man hat sich für den Misstrauensantrag entschieden.

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Die Suspendierung des Parlaments durch Castillo und der Misstrauensantrag von Parlamentariern wird inzwischen als Putsch und Gegenputsch analysiert. Beide Vorgänge haben parlamentarische Regeln missachtet und sind juristisch gesehen illegal. Die Schließung des Parlaments darf erst nach einem erfolgreichen dritten Misstrauensantrag erfolgen, dem Castillo zuvorkommen wollte. Doch es braucht 52 Unterschriften von Abgeordneten, um einen Misstrauensantrag im Parlament vorzulegen – sie wurden jedoch nie präsentiert.

Ein erfolgreiches Misstrauensvotum erfordert die Unterschriften von mindestens 105 der 130 Abgeordneten. Es gab jedoch nur 101 Stimmen dafür. Das bedeutet, die Absetzung durch den Misstrauensantrag war illegal – und demgemäß sind alle juristischen Anklagepunkte gegen den Präsidenten hinfällig. Dafür spricht auch die offizielle Anerkennung seiner fortbestehenden Präsidentschaft durch Argentinien, Kolumbien, Mexiko und Bolivien.

Der peruanische Kongress und seine Abgeordneten genießen seit dem Ende der Fujimori-Diktatur wenig Vertrauen in der Bevölkerung. Die Abgeordneten gelten überwiegend als korrupt und den Machtblöcken angedient.