Paul Schreyer

Die RKI-Protokolle weisen längst über die Corona-Politik hinaus und enttarnen einen Machtblock, der vom Journalismus über Gerichte bis zu Umfrageinstituten reicht.

Beitrag von Michael Meyen

Es ist an der Zeit, Paul Schreyer zu feiern. Ich weiß: Er mag das nicht. Warum soll man einen Journalisten feiern, würde er vermutlich fragen, der seine Arbeit macht? Die Antwort ist einfach. Die allermeisten Journalisten machen diese Arbeit nicht. Wer kann schon von sich behaupten, mit einer Recherche erst die Debatte gekippt und demnächst vielleicht sogar ein ganzes Land verändert zu haben?

Okay: Die allermeisten Deutschen wissen immer noch nicht, was die RKI-Protokolle sind, oder können sich zumindest nicht daran erinnern, wenn Meinungsforscher danach fragen. 28 Prozent, sagt eine Forsa-Studie. Das reicht aber offenbar. Es reicht, wenn Entscheider wissen, dass andere Entscheider das wissen und gar nicht so wenige von den Vielen da draußen. Acht Millionen Menschen, lässt sich aus der Studie hochrechnen, sehen die Corona-Maßnahmen „kritischer“, seit sie von den Protokollen gehört haben. Acht Millionen Seelen berührt. Acht Millionen nachdenklich gemacht. Das lässt sich mit keinem Geld der Welt aufwiegen.

Paul Schreyer und seine Mitstreiter bei Multipolar haben daran mehr als vier Jahre gearbeitet – seit Juli 2020. Das RKI wollte damals nicht sagen, wer im Krisenstab sitzt, und auch keine „Notizen“ veröffentlichen. Es gab ein Verfahren vor dem Berliner Verwaltungsgericht mit einem Teilerfolg im April 2021, eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz und eine Klage, als das RKI erneut mauerte. Der „Rest“ ist, wie man so schön sagt, Geschichte: Version 1 mit mehr als tausend Schwärzungen im März 2024, ein Gerichtsverfahren, das ganz oben zum Umdenken zwang, und kurz vor dem Urteilsspruch schließlich im Juli 2024 ein Behördenleak, das ganz andere Namen mit dem Thema verlinkte. Ich weiß nicht, wie sich Paul Schreyer an diesem Tag gefühlt hat. Ich weiß aber, dass es im Journalismus immer auch um Exklusivität geht. Wer kitzelt etwas heraus, was kein anderer hat? Bei einer Geschichte, die hundertmal größer ist als der Name des nächsten Bayern-Trainers und sein mögliches Gehalt, hat Schreyer weitergemacht, als wäre nichts geschehen. Das Ego ausblenden, weil es um die Sache geht: Das schafft nicht jeder.

Gewinner sind wir alle. Natürlich: Es gab Helfer, auch in den Leitmedien. Paul Schreyer selbst hat Britta Spiekermann gewürdigt, Hauptstadtkorrespondentin beim ZDF, die das Thema im März 2024 über jene Schranke hob, die alles aus der politischen Debatte fernhält, was in der Gegenöffentlichkeit diskutiert wird. Burkhard Ewert, Chefredakteur der Neuen Osnabrücker Zeitung, obwohl oder vielleicht auch gerade weil er keineswegs immer in den Kollegenchor einstimmt, der mit der Macht heult, dieser Burkhard Ewert hat von Multipolar erst eine Recherche zu Kontokündigungen in der Opposition übernommen und Ende Juli dann einen Gastbeitrag von Paul Schreyer veröffentlicht, der ganz am Ende das Fundament vieler Corona-Urteile zum Einsturz bringt. Wenig später gab es ausgerechnet in Osnabrück einen Paukenschlag: Das dortige Verwaltungsgericht stufte Paragraf 20a des Infektionsschutzgesetzes als „nicht verfassungskonform“ ein und brachte damit Karlsruhe zurück ins Spiel. Wenn der Journalismus seinen Job macht, haben es auch Richter leichter.

Und nun diese Umfrage. Wir wissen jetzt, wie viele Menschen über Nebenwirkungen klagen (19 Prozent der mRNA-Opfer), wie viele jemanden kennen, der über so etwas klagte (35 Prozent), und wie groß der Wunsch nach politischer und juristischer Ausarbeitung ist. Vor allem aber wissen wir nun auch, wie tief das Zensur-Kartell in der Mitte der Gesellschaft verankert ist. Meinungsumfragen, um zu erfahren, wie viele Menschen von etwas betroffen sind und wie sich die Ansichten verteilen? Ja, schon, aber nur, wenn der Auftraggeber passt. Multipolar hat im Mai vier Institute angefragt. Ergebnis: dreimal keine Antwort (Forsa, Insa, Allensbach) und eine Absage aus „Kapazitätsgründen“ (Infratest dimap). Nachdem es jetzt über den Umweg Osnabrück geklappt hat, schickte Forsa sofort einen Anwalt, um nicht in einem Atemzug mit Multipolar genannt zu werden. Das heißt erstens: Unternehmen verzichten auf Einnahmen, um keine Daten liefern zu müssen, die am Regierungslack kratzen. Und Unternehmen wie Forsa haben zweitens ganz offensichtlich Angst vor Kontaktschuld – vermutlich mit der Erfahrung im Kopf, dass Aufträge flöten gehen, wenn man mit Schmuddelkindern spielt. All das haben Paul Schreyer und Multipolar ins Scheinwerferlicht geholt. Jetzt sage niemand mehr, es gibt die Gräben nicht. Die Zeit der Brückenbauer ist da. Oben im Bild sehen wir einen der besten von ihnen.

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