Der Sohn des Generals

von Peter Schulz

Quelle, und vollständiger Artikel: thruthorconsequences.de

Ein israelischer General

Miko Peled ist „Der Sohn des Generals„, wie er sein Buch *12 von 2016 schlicht und einfach betitelt hat. Hierzulande ist sein Vater Matti Peled weit weniger bekannt als dessen Offizierskollege Mosche Dayan (der mit der Augenklappe). Für den Erfolg des Sechstagekrieges von 1967 war Matti Peled jedoch kaum weniger verantwortlich als der publicity-gewandte Dayan. Manche halten gerade die strategisch-logistische Vorbereitung des Sechstagekrieges, für die General Peled verantwortlich war, für entscheidend. Im Ergebnis besetzte Israel ab 1967 weite Teile ehemals palästinensischer, ägyptischer und syrischer Gebiete.

Schon am Unabhängigkeitskrieg von 1948 hatte Matti Peled als junger Offizier teilgenommen – nicht überraschend für jemanden, der schon 1939 der Palmach, der Kampfgruppe der Haganah, beigetreten war. Aus der Zeit stammt auch der angenommene Name „Peled“, was in hebräisch „Eisen“ bedeutet. Ob sich der junge Matti da unbewusst vom ebenfalls als Kampfname entstandenen „Stalin“ (der „Stählerne“) hatte inspirieren lassen?

Interessant für unser Thema ist jedoch der weitere Lebensweg Matti Peleds, denn nach dem damals alle Welt verblüffenden militärischen Sieg Israels im Sechstagekrieg quittierte der angesehene General ein Jahr später seinen Dienst und wurde Akademiker. Und er widmete sich fortan ausgerechnet der arabischen Literatur. Und nicht nur das, nach und nach knüpfte er Kontakte zu arabischen und sogar palästinensischen Wissenschaftlern und Politikern.

Der intelligente Stratege hatte nämlich schon im Jahr des Sieges seinen Offizierskollegen erklärt: „Jetzt haben wir die Möglichkeit, den Palästinensern einen eigenen Staat anzubieten.“ Weiter schreibt Miko Peled: „Später erklärte er auch klipp und klar, das Festhalten am Westjordanland einschliesslich der Menschen, die dort lebten, stehe in Widerspruch zu Israels langfristiger Strategie, eine gefestigte jüdische Demokratie mit einer stabilen jüdischen Mehrheit aufzubauen. Wenn wir diese Gebiete behielten, würde sich unweigerlich ein Widerstand der Bevölkerung gegen die Besatzung entwickeln, und Israels Armee würde eingesetzt werden, um diesen Widerstand zu unterdrücken, was wiederum verheerende und demoralisierende Konsequenzen haben würde. Er schloss mit der Warnung, dies werde den jüdischen Staat in eine immer brutalere Besatzungsmacht und am Ende in einen binationalen Staat verwandeln.“ *13

Das ist ganz klar aus der Perspektive eines überzeugten Zionisten heraus formuliert. Aber bezüglich der Entwicklung des Staates Israel zu einem unterdrückenden Besatzungsregime auch erstaunlich hellsichtig vorausgedacht. Und folgerichtig wurde der General in den verbleibenden Lebensjahren zu einem regelrechten Friedensaktivisten, der sich immer eindringlicher für eine Zwei-Staaten-Lösung aussprach.

Interessanterweise war der General damit zu einer Erkenntnis gelangt, die der Historiker Sebastian Haffner 1978 in folgenden Sätzen *14 formulierte: „In der Staatenwelt, wie sie ist, werden Kriege immer für einen Frieden geführt; Verteidigungskriege sowieso, aber auch Angriffskriege, sofern sie überhaupt einen Sinn haben sollen. […] Wenn die Waffenentscheidung gefallen ist, muss Friede geschlossen werden, sonst hat der Krieg keinen Sinn gehabt.

Und hierin liegt meines Erachtens die Schuld der israelischen Regierungen seit 1967: Sie haben die „Waffenentscheidung“ des Sechstagekrieges, die doch so eindeutig zugunsten Israels ausgefallen war, nicht konsequent für Friedensverhandlungen mit ihren arabischen Nachbarn und eben auch den Palästinensern genutzt, sie haben nicht – mit Ausnahme Ägyptens – Land gegen Sicherheit eingetauscht.

Der verlorene Sohn?

Kann man sagen, dass Miko Peleds Lebensweg in gewissen Bereichen typisch ist für jemanden, der unter einer überlebensgrossen Vaterfigur aufwachsen musste? Es scheinen sich Perioden , in denen der junge Peled seinem Vater nacheifern will, etwa beim (erfolgreichen) Bestreben, unbedingt in eine Sondereinsatzgruppe der Armee aufgenommen zu werden, mit Phasen geistiger und schliesslich auch räumlicher Trennung – sowohl von der Armee als auch Israel insgesamt – abzuwechseln.

Im Jahre 1997 jedenfalls hatte sich Miko Peled ein eigenes Leben fern der Heimat aufgebaut und leitete ein Karate-Studio im sonnigen Kalifornien. Der Vater war vor zwei Jahren verstorben, von seinem friedenspolitischen Engagement schien sich aber nichts dem Sohne vererbt zu haben. Dann allerdings schlägt wie ein Blitz die Nachricht ein, die Mikos Leben von Grund auf verändern wird: Seine Schwester ruft ihn an und teilt mit, dass ihre 13-jährige Tochter, seine Nichte, nach einem Bombenanschlag in Jerusalem vermisst werde. Kurze Zeit später steht fest, dass die Nichte namens Smadar *15 dabei getötet wurde. Überstürzt reist Miko in seine Heimat, um wenigstens bei der Beerdigung dabei zu sein.

In den Tagen danach aber ist die Reaktion Mikos anders, als man erwarten könnte. In der Zwischenzeit sind zwei junge palästinensische Männer als Selbstmordattentäter identifiziert worden. Statt nun wie naheliegend entweder nur die beiden jungen Männer oder gleich alle Palästinenser zu verfluchen, überlegt er sich, wie und warum diese Männer so einen Entschluss fassen und schliesslich auch zur Ausführung bringen konnten. Welche Art von Verzweiflung hatte sich dieser jungen Menschen bemächtigt? „Ihr [Smadars] Tod zwang mich zu einer schonungslosen Überprüfung meiner zionistischen Überzeugungen, der Geschichte meines Landes und der politischen Situation, die die Selbstmordattentäter, die sie getötet hatten, motiviert hatte.

Die folgende „Education sentimentale„, wie sie Übersetzer und Verlag im Vorwort nennen, ist spannend und mit grossem Gewinn zu lesen, auch wegen der vielfältig verflochtenen Lebenswege seiner Familie mit anderen, die Geschichte Israels prägenden Gestalten wie Ben Gurion, Shimon Peres oder Zalman Shahar. Der Sohn des Generals lernt im Laufe der Zeit nicht nur Israelis aus der Friedensbewegung kennen und schätzen, sondern nimmt auch Kontakt zu Menschen der „anderen Seite“ auf. Dabei muss er oft zuerst tiefsitzende Ängste und Hemmungen überwinden.

Etwas, was man zunächst als aufdringliche Eigenwerbung auffassen könnte, erklärt sich schliesslich genau aus diesem Kontext: Zahlreiche, leider kleinformatige Bilder zeigen immer wieder Miko Peled mit verschiedenen palästinensischen Mitstreitern, und einmal auch im Kreise einer Karate-Klasse, die er im Westjordanland besuchte. Bedenkt man, dass das Buch ja nicht vorwiegend für eine deutsche oder europäische Leserschaft geschrieben ist, sondern für seine israelischen Landsleute, erscheint die vermeintliche Eigenwerbung als Versuch, seinen Mitbürgern zu zeigen, dass auch diese ihre Ängste überwinden, auch sie friedlich mit Palästinensern zusammenkommen könnten.

Im Unterschied zu seinem Vater befürwortet Miko Peled übrigens keine Zwei-Staaten-Lösung. Er argumentiert, die Zerstückelung und Absorption ehemals palästinensischen Siedlungsraums sei schon soweit vorangeschritten, dass irgendwie sinnvolle separate Staaten nicht mehr einzurichten seien. Sondern Israelis und Palästinenser müssten tatsächlich, trotz allem zwischenzeitlich zugefügten Leid, lernen, gleichberechtigt in einem Staat zu leben.

*12 Erschienen im Verlag „edition 8“, ISBN 978-3-85990-290-9

*13 Zitat aus dem Buch „Der Sohn des Generals“, Seite 62-63

*14 Zitat aus „Anmerkungen zu Hitler, Seite 87

*15 Ein Foto von Smadar findet man auf Seite 144 des Buches von Miko Peled.

4.7 (3)